Ja natürlich. Aber erst, wenn die Kinder soweit sind!
Warum wir erst ab 9 Jahren mit dem "normalen" Reitunterricht beginnen
Immer wieder einmal werde ich gefragt, warum bei mir nicht schon kleine Kinder „richtig“ reiten lernen können. Und ich weiß, dass es Reitschulen gibt, die konventionelle Reitstunden bereits für Kleinkinder anbieten. Dort werden die Kinder auf Pferde gesetzt in einer Abteilung oder im Einzelunterricht angeleitet und es entsteht der Eindruck, dass Kind könne reiten. Ich habe das früher nicht anders gemacht, habe aber meine Einstellung dazu grundlegend geändert und möchte gerne über das geeignete Einstiegsalter und über unseren rückenfreundlichen gesundheitsfördernden Ansatz informieren.
Begründung aus der Sicht emotionalen und motorischen Entwicklungsreife
Das Kind hat noch nicht die nötige Körperstabilität, um sich auf dem Pferd kontrolliert halten zu können. Aktives und selbständiges Reiten ist deshalb kaum möglich (Ausnahme: Kinder die von klein auf nahezu täglich auf dem Pferd sitzen). Auch Pferde, die brav im Kreis herumtrotten stellen ein Risiko dar, da der Reitlehrer in der Mitte keinerlei Hilfestellung geben kann, wenn ein Pferd tatsächlich einmal scheut oder auch mehrere Pferde in der Abteilung plötzlich durchgehen. Es sind dann die Kinder, die dann durch so ein unnötiges Erlebnis völlig überfordert werden und mit dem Reiten ganz aufhören oder sehr lange angstbesetzt sind und sich mit gemischten Gefühlen durchbeissen.
Ich möchte auch zu bedenken geben, dass Kinder eine unrealistische Selbsteinschätzung erhalten, wenn sie vermittelt bekommen, ein Pferd alleine und selbsttätig reiten zu können. Die Pferde mancher Reitbetriebe laufen wie ferngesteuert und sehr routiniert ihre Runden. Sie versuchen möglichst stressfrei ihre Aufgabe zu erfüllen, stellen aber keinerlei Anforderung an das aktive Reiten.
Es ist mehr oder weniger ein Obensitzen, ohne Anspruch an das Zusammenspiel der komplexen Hilfen (Koordination, Bewegungsgefühl, Feinmotorik und altersentsprechend Kraft).
Ich möchte Kindern ein realistisches Bild ihres Können vermitteln. Es gibt auf diesem Weg viele kleine Erfolgserlebnisse, aber auch Grenzerfahrungen, bei denen die Kinder lernen, eigene (körperliche) Grenzen zu erkennen.
Begründung unter medizinischen Gesichtspunkten
In den Zeiten des gesteigerten Längenwachstums, also ungefähr zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr, besteht eine besondere Gefahr der Überbeanspruchung, da die Reizbarkeit des Gewebes in dieser Phase besonders gesteigert ist.
Das Stützgewebe kann die muskuläre Anforderung des leistungsbezogenen Reitunterrichts gar nicht leisten. Knochenstruktur und Wachstumsfugen sind noch sehr weich und aufgrund der hohen Druck und Scherkräfte gefährdet. Es kann zu Frakturen der Wachstumsfugen kommen. Die Wirbelsäule und die dazwischenliegenden Bandscheiben als Stoßdämpfer werden durch unschönes und ungesundes „Plumpsen“ auf dem Pferderücken stark belastet. Sie müssen das Körpergewicht tragen und Stöße abfangen. Auch die Nackenmuskulatur kann diese Kräfte gar nicht abfangen. Das gilt besonders dann, wenn kleine Kinder auf großen Pferden mit schwungvollen Bewegungen sitzen.
Kleine Kinder passen auf kleine Pferde.
Große Kinder passen auf große Pferde.
Auch wenn es natürlich ein tolles Gefühl ist, auf einem riesigen Pferd zu sitzen, spricht trotzdem alles dafür, erst einmal auf Ponys das Reiten zu lernen: Die Kinder können ihr Pony eigenständig zum Reiten vorbereiten, da das Größenverhältnis viel harmonischer ist. Das erkläre ich übrigens auch den Kindern, die in diesem Punkt sehr verständig sind.
Ponys sind wahre Angstkiller, haben einen besonderen Charme und eine tolle Ausstrahlung. Kinder verlieren ihre Hemmungen bei der Kontaktaufnahme und im allgemeinen Umgang mit Ponys sehr viel schneller als im Umgang mit Großpferden. Dazu kommt noch der Sicherheitsaspekt. Natürlich kann auch ein Pony beißen oder durchgehen. Doch von kleinen Ponys geht insgesamt ein geringeres Risiko aus, als von einem 500 kg schweren Großpferd.
Ich möchte keine Reiter ausbilden, sondern echte Pferdemenschen
Wir setzen auf ganzheitliche Lernchancen zur Vorbereitung auf den Reitsport und fördern Fähigkeiten, die man als Reiter braucht: Bewegungsgefühl, Koordination, Fein- und Grobmotorik und - was ich am allerwichtigsten finde - Selbstsicherheit und Handlungsfähigkeit im Tun mit und auf den Pferden.
Im Kindergartenalter geht es darum erste Erlebnisse mit Pferden zu sammeln.
Das Gruppenerlebnis mit Bewegung und Spiel und erste Erfahrung mit Ponys stehen hier im Vordergrund.
Mit Erreichen des Grundschulalters sind die Kinder nun zunehmend in der Lage Ziele zu verfolgen und sie zu erreichen. Um die nötige Konzentration und Ausdauer aufzubringen, müssen sie aber mit Spaß bei der Sache sein. Sie reiten nun bereits einige Minuten am Stück voll konzentriert und müssen mental und körperlich voll bei der Sache sein. Durch viel Lob und positive Rückmeldungen bei den abwechslungsreichen Bewegungsaufgaben auf dem Ponyrücken bestätigen wir die Kinder. Eine bessere Lernmotivation gibt es gar nicht!
Bei den Neun- bis Zehnjährigen steigt die Aufmerksamkeitsspanne auf etwa 20 Minuten. Erst ab diesem Alter sind Koordination und Feinmotorik soweit ausgebildet, dass die komplexen Anforderungen der klassischen Reitlehre überhaupt umgesetzt werden können.
Es ist nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob der Reiter nun als blinder Passagier auf dem Pferderücken sitzt oder man volle Konzentrationsleistung und Körperkontrolle abverlangt.
Kinder sollten also erst ab dem Alter von etwa 9 bis 10 Jahren mit dem „leistungsorientierten“ Reitunterricht beginnen.
Ausnahmen gibt es selbstverständlich: Wenn Talent und Entwicklungsreife zusammen kommen, dann können Kinder schon früher leistungsbezogen gefördert werden. Das gilt beispielweise auch für Kinder, die von klein auf mit Pferden zu tun haben (z.B. aus einer Pferdefamilie kommen). Allerdings reicht dann die wöchentliche Reitstunde nicht aus, sondern das Kind sollte dann mindestens dreimal wöchentlich unter Anleitung auf dem Pferderücken eines sehr gut ausgebildeten Ponys sitzen!